Klimawechseln. Bitte. Alle.
Lorenz Leumann, Christina Nef, Karin Isler, Oliver Martin
Karin Isler, PD Dr., Anthropologin und Studienkoordinatorin UZH, HSGYM-Kerngruppe HSGYM
Lorenz Leumann, Dr. Sc. nat., Biologielehrer und Klimabeauftragter LG Rämibühl, Leiter der HSGYM-Kerngruppe Biologie
Oliver Martin, Dr. Sc. nat., Evolutionsbiologe und Dozent ETH Zürich, HSGYM-Kerngruppe Biologie
Christina Nef, Biologielehrerin und MINT-Koordinatorin KS Büelrain, HSGYM-Kerngruppe Biologie
Das Klima geht uns alle an, dringend und drängend. Auch Schulen und Hochschulen sind gefordert, denn die Weichenstellungen in den nächsten Jahren sind entscheidend wie nie zuvor![1] Es laufen glücklicherweise viele ermutigende Projekte an Schulen und Hochschulen, aber oft erfährt man nur durch Zufall davon oder wenn explizit nachgeforscht wird. Weil wir überzeugt sind, dass gute Ideen andere beflügeln, das Rad nicht jedes Mal neu erfunden werden muss und erfolgreiche Beispiele im Kern auf andere Institutionen übertragbar sind, blicken wir von HSGYM Bio über den Tellerrand hinaus. Welche Projekte laufen in Sachen Klimaschutz aktuell an Zürcher Mittelschulen, welche an Uni und ETH Zürich? Die Auswahl ist naturgemäss punktuell und unvollständig, doch wir meinen, dass jeder Impuls andere Personen inspirieren kann und so neue Projekte angestossen werden. Vernetzung und Zusammenarbeit sind hier zentral, einerseits zwischen Mittelschulen untereinander, aber auch zwischen Hochschulen und Mittelschulen. In diesem Artikel empfiehlt jede/r von uns aus eigener Perspektive gezielt Websites, die Ansporn zu mehr bieten können.
Literargymnasium Rämibühl – Projektideen für eine grünere Zukunft (Lorenz Leumann)
Ich stoppte den Film nach der traurigen Zeugenaussage von David Attenborough. «Die nicht-menschliche Natur ist so gut wie verschwunden – wir haben sie zerstört!»
Betroffen schauten mich vierundzwanzig Augenpaare an. Die eindrücklichen Bilder rüttelten auf und das Ausmass der menschlichen Dominanz auf Erden ging unter die Haut. Wir Menschen machen über ein Drittel des Gewichts der Säugetiere auf der Erde aus. Weitere 60% bringen die Tiere auf die Waage, die wir zum Essen aufziehen. Und der kleine Rest von 4% bleibt für sämtliche wilden Säugetiere, von Mäusen über Giraffen, Löwen, Elefanten bis zu Walen.
Ich bin Biologielehrer am Literargymnasium Rämibühl und biete seit letztem Sommer das Freifach Klimakrise und Klimaschutz an. Wir schauen und besprechen viele klimarelevante Filme, die Auswahl auf Netflix, Nanootv, Disney+ und Appletv ist erfreulich gross. Der Film A Life On Our Planet des 94-jährigen, international berühmten Naturforschers und Filmemachers Sir David Attenborough gibt trotz allem Hoffnung und ist ein Muss für jedermann!
Wir diskutieren auch über eine umfassende Zusammenstellung der riesigen Herausforderungen, vor welche uns der Klimawandel stellt. Der Name des Autors mag überraschen, denn mit ihm verbindet man wohl nicht als erstes das Thema Klimaschutz. Bill Gates schafft es aber in seinem 2021 erschienenen Buch Wie wir eine Klimakatastrophe verhindern[2], mit grosser analytischer Schärfe die hochkomplexe Problematik glasklar herunterzubrechen und Lösungsansätze aufzuzeigen. Dank dem nötigen Kleingeld konnte Bill Gates parallel dazu eine spektakuläre Website aufbauen, die auch für schulische Zwecke viele spannende Daten liefert.
Dieses Schuljahr nehmen unsere 5. Klassen und 6. Klassen im Rahmen des Biounterrichts am Ecotrip Challenge teil, einem Projekt des VCS Schweiz. Dabei geben alle Schülerinnen und Schüler an, wie viele Kilometer sie in Arbeitswochen und in den Ferien reisten und ob die Reise mit Auto, Bus, Zug oder Flugzeug unternommen wurde. Die Reisekilometer werden in CO2 Äquivalente umgerechnet und für jede Klasse wird der Durchschnitt ermittelt. Ende Schuljahr wird die Klasse mit dem kleinsten Pro-Kopf-Ausstoss als Belohnung in ein ökologisch nachhaltiges Restaurant eingeladen. Momentan führt schulintern die Klasse 5d mit einer durchschnittlichen Emission von 141.8kg CO2 pro Schülerin. Bei einem klimaverträglichen Jahresbudget eines Menschen von 600kg CO2 ist die Klasse ökologisch gut unterwegs.
Im August 2021 wurde die Koordinationsstelle Klimakonferenz Rämibühl gemeinsam vom Literar- , Real- und Mathematisch-naturwissenschaftlichen Gymnasium ins Leben gerufen, um das Schülerengagement, Aktivitäten und Informationen rund um die Klimakrise auf dem Campus Rämibühl zu bündeln und zu koordinieren. Momentan bauen wir eine Website auf und planen für Mai 2022 eine schulübergreifende Ausstellung zum Thema Food und Foodwaste in den Eingangshallen. Die Ausstellung wird von zwei 3. Klassen mit Unterstützung durch Lehrpersonen für Bildnerisches Gestalten umgesetzt. Eine jährliche Ausstellung zu einem Umweltthema soll fortan fester Bestandteil der drei Rämibühlschulen sein. Ergänzt wird die Ausstellung durch wissenschaftliche Referate und die Food for Future Olympiade. In verschiedenen Disziplinen wetteifern alle Lehrpersonen und SchülerInnen während zweier Wochen um ambitionierte Ziele rund um eine nachhaltige Ernährungsweise - von nofoodwaste, lokal und saisonal über vegetarisch bis vegan. Der Anstoss zur Olympiade kam aus dem Freifach Klimakrise und Klimaschutz.
Link Empfehlungen:
A Life On Our Planet (Netflix). David Attenborough. Official Trailer Netflix: https://www.youtube.com/watch?v=64R2MYUt394
Breakthrough Energy. Bill Gates. https://www.breakthroughenergy.org/
Ecotrip Challenge https://www.ecotrip-challenge.ch/
Kantonsschule Büelrain – Pionierin als Klimaschule (Christina Nef)
Klimawechseln: 2019 war der Neubau der Kantonsschule Büelrain bezugsbereit. Der Neubau ersetzte die ‘ewigen Provisorien’, die seit dem Jahr 1960 (!) als Schulanlage genutzt wurden. Die kaum isolierten Baracken waren alles andere als ökologisch und entsprechend gross war der Energiebedarf. Der Wechsel zum Neubau, der nach dem Minergie-P-Eco-Standard gebaut wurde, war wahrlich ein ‘Klimawechsel’. Das Schulhaus wurde ökologischer und dies hat die Schule zum Anlass genommen, auch in anderen Bereichen klimafreundlicher zu werden. Die erfolgreichen politischen Bemühungen für den Bau einer Photovoltaikanlage auf dem Schuldach haben gezeigt, dass ein ‘Klimawechsel’ möglich ist. Beim Kampf um die Photovoltaikanlage wurde die Schule von der Winterthurer Organisation MYBLUEPLANET unterstützt. Diese erfolgreiche Zusammenarbeit gab den Startschuss in die nächste Phase des angestrebten ‘Klimawechsels’.
‘Wir werden eine Klimaschule!’ Dies hat sich die Kantonsschule Büelrain 2018 zum Ziel gesetzt und sich auf den Weg gemacht, ökologischer zu werden. Der Prozess dauert normalerweise vier Jahre und beginnt mit einem von MYBLUEPLANET in die Wege geleitetem Crowdfunding. Bei diesem Crowdfunding werden symbolische Solarzellen verkauft und die Einnahmen füllen die Klimakasse der Schule. Diese Klimakasse steht in den folgenden Jahren zur Finanzierung von verschiedenen Bildungsaktivitäten im Klimabereich zur Verfügung. Diese Bildungsaktivitäten organisiert oder initiiert der Klimarat der Schule. In diesem Klimarat engagieren sich neben Lehrpersonen und dem Rektor auch Schülerinnen und Schüler. Sie waren es, die mit unzähligen Aktionen und Initiativen die Kantonsschule Büelrain Schritt für Schritt zu einer klimafreundlicheren Schule gemacht haben.
Diesen Klimawechsel haben alle gespürt. So wurden Flugreisen verboten, an Schulanlässen und in Klassenlagern gibt es vegetarische Mahlzeiten, die Schulhausumgebung wurde biodiverser gestaltet, der Kaffee aus dem Kaffeeautomaten wird aus dem Mehrwegbecher genossen, am Energy Day @ETH wurde über das Ziel Netto-Null Schweiz diskutiert, der Welternährungspreisträger Hans Rudolf Herren hat sich mit den Schülerinnen und Schülern über den Klimawandel ausgetauscht und die Lehrpersonen haben eine zweitägige Weiterbildung zum Thema Nachhaltigkeit und Klimaschutz genossen. Dies sind nur einige der Aktivitäten, die zum erfolgreichen Erlangen des Labels Klimaschule geführt haben.
Man kann sich nun fragen, ob es ein Label braucht oder ob ein solcher Klimawechsel nicht auch ohne ‘Abzeichen’ möglich wäre? Sicher, aber das Ziel, ein Label zu erlangen, führt zu Verbindlichkeiten und zu einer Priorisierung der Aktivitäten im Bereich Klimaschutz. So und dank dem unermüdlichen Einsatz des Klimarates war ein Klimawechsel möglich und wurde das Streben nach mehr Nachhaltigkeit zu einem Selbstverständnis unserer Schule.
Link Empfehlungen:
Beispiele der Aktivitäten des Klimarates: https://www.klimaschule.ch/kbw/
Der Weg zum Label: https://www.klimaschule.ch/klimaschule/#programm
Projekte von MYBLUEPLANET: https://www.myblueplanet.ch/
Universität Zürich – Möglichst wirksame Reduktion von Treibhausgas-Emissionen (Karin Isler)
Die Universität Zürich sieht gemäss Leitbild von 2012 Nachhaltigkeit in wissenschaftlicher Arbeit und betrieblicher Umsetzung als ihre institutionelle Aufgabe. Deswegen gibt es einen Nachhaltigkeitsbeauftragen (Prof. Dr. Lorenz Hilty), ein Nachhaltigkeitsteam und seit 2019 eine Sustainability Policy mit Umsetzungsstrategie. Jährlich wird ein Nachhaltigkeitsbericht erstellt. Die Webseite sammelt alle Aktivitäten und Angebote. Besonders hilfreich sind Tipps für nachhaltiges Handeln im Hochschulkontext, sowie ein Briefkasten zur niederschwelligen Eingabe von Vorschlägen und Anliegen für alle Universitätsangehörigen. Zudem gibt es eine Rubrik «Freiwillige Selbstverpflichtungen», in der alltägliche und originelle Beiträge sichtbar gemacht werden.
Das sogenannte «Green VVZ[3] » ermöglicht den Studierenden, Lehrveranstaltungen mit Nachhaltigkeitsbezug zu finden. Oft ist es fachübergreifend sinnvoll, eine solche Lehrveranstaltung im freien Wahlbereich (Studium generale) zu absolvieren. Die neue «School of Transdiciplinary Studies» bietet regelmässig eine Vorlesung «Nachhaltigkeit jetzt!» an.
Die Sammlung von Fact Sheets gibt allgemeinverständliche, wissenschaftlich begründete Infos zu einigen Themen wie Dienstreisen, Pendelverkehr, Ernährung im Uni-Alltag, Mediennutzung etc. und wird laufend erweitert. Diese sind auch für Lehrpersonen oder Schülerinnen an Mittelschulen als verlässliche Quelle nutzbar.
Das neueste Projekt des Nachhaltigkeitsteams zielt darauf ab, die Treibhausgas-Emissionen der Universität wirksam zu reduzieren. Es hat sich gezeigt, dass Flugreisen im Regelbetrieb der Universität, also vor der Covid-19-Pandemie, den grössten Anteil der THG-Emissionen ausmachten (35%). Dabei sind wiederum die Langstreckenflüge besonders emissionsreich. Im Projekt «Make Science, not Miles» wird daher das Ziel verfolgt, die Emissionen durch Flugreisen bis 2030 im Vergleich zu 2019 um mindestens 53% zu reduzieren. Die Fakultäten werden verpflichtet, dazu eine Strategie zu entwickeln, die jedoch auch die Bedürfnisse der Nachwuchsforscher berücksichtigt. Für eine wissenschaftliche Karriere ist der Aufbau eines internationalen Netzwerks an Kollegen und Kontakten ganz zentral. Auch die Feldforschung sollte natürlich nicht darunter leiden. Die Herausforderung besteht also darin, diese verschiedenen Bedürfnisse fair zu berücksichtigen.
Link-Empfehlungen:
Nachhaltigkeit an der UZH: https://www.sustainability.uzh.ch/de.html
Green VVZ: https://www.sustainability.uzh.ch/de/forschung-lehre/lehre/green-VVZ.html
Factsheets: https://www.sustainability.uzh.ch/de/aktiv-werden/factsheets-und-empfehlungen/factsheets.html
ETH Zürich - Zeigt Wege auf für eine nachhaltige Zukunft (Oliver Martin)
Die ETH Zürich gliedert ihre Aktivitäten bezüglich Nachhaltigkeit nach verschiedenen Kernbereichen. Diese Aktivitäten beinhalten Forschung auf dem Gebiet der Nachhaltigkeit, ein Bildungsangebot zur Nachhaltigkeit (z.B. die «ETH Sustainability Summer School»), passende bauliche und organisatorische Massnahmen auf dem Campus, und die Pflege eines regen Dialogs mit der Gesellschaft bezüglich wichtigen Nachhaltigkeitshemen.
Als Teil ihrer allgemeinen Anstrengungen im Bereich der Nachhaltigkeit, nimmt die ETH auch explizit Bezug auf die Ziele der Agenda 2030 der vereinten Nationen. Online werden pro Ziel auf einer entsprechenden Webseite passende Projekte und Aktivitäten der ETH dargestellt. So wird zum Beispiel im «Ziel 13: Massnahmen zum Klimaschutz» auf relevante Beiträge der ETH hingewiesen. Ein besonderes Highlight, welches dort präsentiert wird, ist die jährliche Klimarunde, die vom Center for Climate Systems Modeling (C2SM) organisiert wird. Für diese Runde werden führende Experten eingeladen, die in moderierten Gesprächen wichtige aktuelle Umweltthemen diskutieren.
Der Kurs «Umweltproblemlösen» im ersten Jahr des Bachelors Umweltnaturwissenschaften zeigt exemplarisch auf, wie die ETH konkret Wege für eine nachhaltige Zukunft erforscht. Dieser Kurs ermöglicht es Studierenden, sich vertieft mit realen Nachhaltigkeitsproblemen zu befassen. Pro Durchlauf wird gezielt auf eine Schweizer Region fokussiert (z.B. 2021/2022 Jurapark). Studierende beginnen in Gruppenarbeit mit einer Analyse der Ausgangslage in der Fallregion. Danach tauschen sie sich während einer zweitägigen Exkursion in der Zielregion direkt mit lokalen Stakeholdern aus, verfassen einen wissenschaftlichen Bericht und präsentieren an einer internen Konferenz ihre Ergebnisse. In einer Synthesewoche lernen die Studierenden Methoden des Systemdenkens kennen. Damit konzipieren sie im folgenden Semester konkrete Nachhaltigkeitsprojekte, die sie im Dialog mit den lokalen Stakeholdern verfeinern. Als Abschluss des 2. Semesters dient der sogenannte Markt der Massnahmen. Dort präsentieren sie ihre Massnahmenvorschläge vor einem kritischen Publikum aus Mitstudierenden, Dozierenden und Experten aus der Region.
Besonders motivierte Studierende können vielversprechende Projekte in einer fakultativen dritten Lehrveranstaltung weiterverfolgen. Dazu gehört es, Partner für die Umsetzung zu gewinnen, die Finanzierung zu klären, Bewilligungen einzuholen, Fragen der Urheberschaft zu lösen und das Projekt schliesslich umzusetzen. Die Vielfalt der Projekte wird durch einen Blick auf die Homepage ersichtlich und ist auch für Nicht-Studierende eine Inspiration.
Link-Empfehlungen:
Nachhaltigkeit an der ETH: https://ethz.ch/de/die-eth-zuerich/nachhaltigkeit.html
Klimarunde 2022: https://c2sm.ethz.ch/events/eth-klimarunde-2022.html
Informationen zum Kurs Umweltproblemlösen: https://upltdlab.ethz.ch
Abgeschlossene Nachhaltigkeitsprojekte: https://upltdlab.ethz.ch/upl-iii/